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Seite 8 | September 2017 |
echt L i fe
„Ich bin schockiert“, so der
entrüstete
„Aufschrei“
von
ÖVP-Bürgermeister
Michael
Viertler
aus Deutschfeistritz,
„dass Politiker so schlecht ab-
schneiden – das verdienen sie
nicht“. Seine Empörung klang
glaubhaft, ist doch gerade Viert-
ler einer, der Gemeindethemen
vorbildlich und allgemein ver-
ständlich aufbereitet (Beispiel:
Schulneubau) und die Bevöl-
kerung am Entscheidungspro-
zess beteiligt. Bürgerbeteiligung
oder das berühmte „Drüberfah-
ren“ über die Bürger – eine der
Schlüsselfragen punkto Vertrau-
en oder Misstrauen?
Pragmatisch der Zugang des
Grazer SPÖ-Chefs
Michael Eh-
mann
: „Die direkteste Bürger-
beteiligung ist die Wahl selbst,
deren demokratisches Ergeb-
nis dazu dient, Entscheidungen
dem Kollektiv abzunehmen.
Bürgerbeteiligung realpolitisch
betrachtet ist durchaus geeignet,
ergänzend zur repräsentativen
Demokratie wirksam zu sein.“
Ehmann
᾿
s Hinweis, dass man
dabei in erster Linie bei der In-
formation ansetzen muss, ist
(s)ein Fingerzeig auch auf die
Journalisten-Vertrauenswerte.
Scheinheilige Aktionen
„Ja, es ist in vielen Punkten ent-
scheidend, wie gut ich informiert
bin“, stimmt
Sandra Kraut-
waschl,
„grüne“ Landtagsabge-
ordnete aus Gratwein-Straßengel,
zu. In der Raum-
ordnung etwa sieht
sie viel Informati-
onsbedarf, gilt es
gerade hier viele
Interessen
unter
einen Hut zu bringen. Dabei
kommt es für Krautwaschl auf
den politischen Willen an, die
aufwendige Informationsarbeit
konsequent zu leisten. Denn:
„Scheinheilige Aktionen zur Ru-
higstellung der Bürger sind kont-
raproduktiv und führen zu Frust
und zum eingangs genannten
Vertrauensverlust.“ Wiewohl sie
es gerade auf kommunaler Ebene
für wichtig hält, Verantwortung
in beide Richtungen wahrzuneh-
men.
Der Andritzer FPÖ-Bezirks-
vorsteher-Stellvertreter
Harald
Oberhuber
meint: „Der beste
Berater der Politiker ist der Bür-
ger“. Und nennt ein Beispiel von
„Drüberfahrpolitik“ aus Andritz
Ende 2015. Ein Flüchtlingsquar-
tier wurde angemietet, der Ein-
zugstermin für 200 unbegleitete
Jugendliche wurde von den Po-
litikern fixiert, doch niemand
in der Bevölkerung wusste wie,
wann, wo und wie viele Flücht-
linge kommen würden. Eine von
der Bürgeriniti-
ative erzwunge-
ne Bürger-Info
des Bezirksvor-
stehers, der alle
Stadt- und Lan-
despolitiker fernblieben, eska-
lierte. „Die Bürger durften dort
nur erfahren, dass sie wohl ihr
Steuergeld dafür geben müssen,
aber nicht einmal wie viel.“
Unheilige Allianz
Nichtvertrauen (Krautwaschl),
Schock über das Wahrgenom-
menwerden (Viertler), Informa-
tions-Defizite (Ehmann) und
Drüberfahrpolitik (Oberhuber)
– Feststellungen einer ehrlichen
Politiker-Runde mit nahezu
überfraktionellem Tiefgang. Die
Wechselwirkung Politik – Me-
dien als weiterer Knackpunkt.
Fast alle Politiker haben heute
Pressereferenten. Diese decken
die Redaktionen mit Aussen-
dungen ein, wo ihre Politiker im
strahlenden
Scheinwerferlicht
erscheinen. Journalisten nehmen
Inhalte daraus als (oft ungefilter-
te) Zitate, um auf der sicheren
Seite zu sein und sich mögliche
Interventionen in den Chefre-
daktionen zu ersparen. Fürwahr
eine unheilige Allianz, aus deren
Mitte der unbedarfte Bürger oft
ungläubig zurückbleibt. Sandra
Krautwaschl räumt aber durch-
aus auch ein, „dass hinter den
Kulissen auch Spiele ablaufen
können, die Druck auf die Me-
dien erzeugen“. Dem wollen wir
von echtLIFE entschieden ent-
gegenwirken: wir reden direkt
mit Politikern aller Parteien und
Betroffenen, so wie hier. Michael
Viertler nennt es zu Recht eine
Art Holpflicht.
Placebo-Geschichten
Die (Un-)Glaubwürdigkeit hat
viele Facetten. Sie beginnt schon
bei der Sprache. Michael Eh-
mann: „Meine Kinder machen
mich daheim oft aufmerksam,
wenn ich beim Erzählen in Po-
lit-speach verfalle. Ergo: wir Po-
litiker müssen den Menschen un-
sere Themen so sagen, dass sie´s
verstehen können.“ Der genannte
„Politi-speach“ – auch ein Ergeb-
nis festgefahrener Polit-Struktu-
ren. Diese beginnen mit Beschäf-
tigungs-Mechanismen, die im
Bürger misstrauen
Politikern.
Warum?
Nur 17 Prozent der Bürger vertrauen Politikern, Journalisten noch 43 Prozent,
Feuerwehrleuten aber 97 Prozent, so die APA-Umfrage für 2016.
Dazu Regionalpolitiker der vier größten Landesparteien vor der Nationalratswahl im Sommergespräch.
Bürgermeister Michael Viertler
(ÖVP): „Der Wahlkampf ist
eine Katastrophe …“
Abgeordnete Sandra Krautwaschl
(Grüne): „Scheinheilige
Aktionen sind kontraproduktiv.“
Harald Oberhuber (FPÖ Andritz):
„Fehler auch eingestehen
und dazu stehen … “
Clubobmann Michael Ehmann
(SPÖ Graz): „Alle wollen nur das
Beste für die Bevölkerung“
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