echtLife 1/2021
echt Life | März 2021 | Seite 9 Im Februar schlagzeilte eine Tageszeitung im Regionalteil: „Gratwein: Der letzte Nah- versorger sperrt zu!“ Gemeint war, dass der Lebensmittelladen von Christian Grinschgl, für Ortskenner als ehemaliges Kino Teil jahr- zehntelanger Ortsgeschichte, demnächst dem Bau einer neuen Zentrale der Raiffeisenbank Gratwein-Hitzendorf weichen wird. Die RAI- BA ist Eigentümerin der Liegenschaft und löst dem Kaufmann seinen Pachtvertrag ab, um das Grundstück einer neuen Nutzung mit über 60 Arbeitsplätzen zuzuführen. Der Irrtum der Schlagzeile: Keine 100 Me- ter weiter führt Brigitte Kletzenbauer ihren Genussladen, der mit Umbau von Anfang bis Ende Mai seine Fläche verdoppelt. Über- haupt scheint Gratwein-Straßengel ein Mek- ka des Lebensmittelhandels zu sein: Da sind Hofer und Lidl im Gewerbepark Gratwein, bald ergänzt um einen neuen Billa gegen- über vom Lagerhaus. Vom Sparmarkt an der Grenze zwischen den Ortsteilen Gratwein und Judendorf-Straßengel hört man von Aus- bauplänen, auf der ehemaligen Nah&Frisch/ Siegl-Fläche wird mit Sicherheit ein weiterer Lebensmittelmarkt entstehen, wenn auch der Zeitpunkt noch immer unklar ist. Der Uni- markt im Zentrum Judendorf-Straßengel ist bereits runderneuert, auch der bestehende Billa an der Judendorfer Ortseinfahrt soll ver- größert und modernisiert werden. Dann gibt es noch den Genussladen und das Genusseck als kleinere Läden mit ausgeprägtem regio- nalem Sortiment. Von einem tatsächlichen Angebotsmangel kann also keine Rede sein, Gratwein: die Zukunft beginnt Das Gratweiner Ortszentrum ist im Umbruch – allerdings nicht akut, sondern in einem Prozess, der sich noch über mehrere Jahre hinziehen wird. Der Ruf nach einem großen Plan der Ortspolitik ist laut – die Möglichkeiten der tatsächlichen politischen Einflussnahme hingegen beschränkt. auch wenn das Schließen von Grinschgl für seine Stammkunden natürlich einen Verlust darstellt. Zukunftsmusik und Aktuelles Viel spannender ist allerdings in Gratwein der Blick aufs Ganze, und der führt zur weit verbreiteten Forderung an die Gemeinde, für eine zukunftsweisende Ortsentwicklung rund um die Gratweiner Ortseinfahrt zu sorgen. Wirklich aktuell ist nur das Bauprojekt der RAIBA Gratwein-Hitzendorf, das immer- hin bis Jahresende schon wieder erledigt sein soll. Da aber noch nicht alle Verfahren abge- schlossen sind, ist die Bank verständlicher- weise noch nicht bereit, Details und Pläne des Projekts zu veröffentlichen. Sicher scheint nur: Es wird nicht das gesamte Areal verbaut, es dürfte durchaus so etwas wie ein neuer, öffentlich zugänglicher Marktplatz entste- hen. Für alles weitere – das betrifft die ehe- maligen Nah & Frisch/Siegl-Flächen ebenso wie den 2025 anstehenden Umbau des Bahn- hofs und in weiterer Zukunft das Areal der KFZ-Werkstätte Ligg (der sicher noch einige Jahre weitermachen wird) – ist großes Den- ken und schnelles Handeln erforderlich. In der Gesamtschau kann man wirklich kreativ werden, denn das gesamte Areal ist riesig und könnte die Basis für einen überaus attraktiven Handelsstandort darstellen, der, wie Robert Köppel, Obmann des örtlichen Wirtschaftss- ausschusses betont, „nicht auf der grünen Wiese, sondern praktisch im Ortszentrum entsteht. Eigentlich eine seltene Chance, einem aussterbenden Ortskern neues Leben einzuhauchen.“ Bgm. Harald Mulle ergänzt: „Diese Chance zur Neugestaltung Gratweins dürfen wir nicht vergeigen!“ Raumplaner An- dreas Ankowitsch kennt die Werkzeuge, die zur Verfügung stehen: Ausgehend vom be- stehenden Ortsbildschutzgebiet muss die Ge- meinde die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten, also öffentlich zugänglichen Lebensraum schaffen und das zukünftige Gratwein proaktiv gestalten. Verkehrskno- tenpunkt, Tiefgarage und Wegführungen für Fußgänger und Radfahrer inklusive. In diese öffentlichen Flächen lassen sich privatwirt- schaftliche Bauprojekte integrieren, die im Rahmen eines „Räumlichen Leitbildes“, das wiederum auf dem Örtlichen Entwicklungs- konzept beruht, entstehen können. Andreas Ankowitsch: „Hier fallen Entscheidungen, die das Gesicht Gratweins für die nächsten 50 bis 100 Jahre prägen werden.“ Da aber einige Investoren bereits in den Startlöchern schar- ren, sind Schnelligkeit, Effizienz und wirt- schaftliches Denken gefragt. Dafür braucht es eine Gemeindepolitik, in der alle an einem Strang ziehen und gemein- sam eine Vision entwickeln, die so hell leuch- tet, dass ihr private Investoren gerne folgen. Angesichts eines politischen Mikroklimas, das seit Monaten von Anzeigen, anonymen Briefen, Misstrauensanträgen, Beschimpfun- gen, Schuldzuweisungen und Kommunikati- onsdefiziten getragen ist, bleibt nur noch der Satz „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Kaufhaus Grinschgl Bauprojekt RAIBA Gratwein- Hitzendorf Ehem. Nah & Frisch- Siegl-Flächen Brigitte Kletzenbauer Genussladen <------------------------ Hintergrund: google maps Andreas Braunendal <---- 50 m
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