echtLife 1/2021
Seite 18 | März 2021 | echt Life Home-Office: Wohl oder Wehe? Ich arbeite persönlich seit rund 20 Jahren im Home-Office, kenne also die Tücken, aber auch die Freuden dieser Arbeitsweise. Daher erlaube ich mir einige praxisorientierte Anmerkungen zu einem Arbeitsmodell, die gerade unglaublich modern wird. Was man klarstellen muss: Home-Office funktioniert sowieso nur bei allen Schreib- tisch-TäterInnen. All die anderen, also jene, die mit Handwerk, Gesundheitsberufen oder im Verkauf ihr Geld verdienen, zeigen in Ge- sprächen zum Thema, dass sie mehrheitlich froh darüber sind, nicht zuhause sitzen zu müssen. Sie sind in Bewegung, sind im per- sönlichen Kontakt mit KollegInnen und Kun- dInnen und wissen dies auch zu schätzen. Was sie also als Vorteil erachten ist die Ge- legenheit zur persönlichen Kommunikation und Interaktion. Home-Office muss man lernen! Im Home-Office zu arbeiten hat letztlich wenige Vorteile, die erst dann zutage treten, wenn man zwei wichtige Voraussetzungen er- füllt: Man muss lernen, Freizeit und Arbeits- zeit klar zu trennen und man muss Struktur in seinen Alltag gebracht haben. Erst dann kann man Flexibilität genießen. Grundla- ge dafür ist zu wissen, wieviel Zeit man für welche Arbeit benötigt und bis wann sie ab- zuliefern ist. Dann kann man schon einmal Pausen einschieben, die andere nicht haben. Und man muss Zeiten, in denen weniger zu tun ist, nicht am Arbeitsplatz absitzen wäh- rend draußen die Sonne lacht. Das ist im Selbstständigen-Dasein einfacher als es für Angestellte ist: Da man es gewohnt ist, kont- rolliert zu werden und unter Druck zu stehen, neigt man eine Zeitlang dazu, Arbeitsaufträ- ge so schnell wie möglich abzuliefern und so zu zeigen, wie fleißig man ist. Das freut den Vorgesetzten (der übrigens ebenfalls verunsi- chert sein kann, wenn seine MitarbeiterInnen im Home-Office verschwinden), verleitet ihn aber dazu, immer mehr Aufträge zu vergeben – auf Dauer eine gute Basis für ein Burn-Out. Das ist keine Einladung zum Sandeln, son- dern dazu, das richtige, dauerhaft bewältig- bare Mittelmaß zu finden. Chancen und Risiken für Unternehmen Aus Sicht der Unternehmer scheint das Home-Office eine tolle Lösung zu sein, da es auf Dauer Geld sparen kann: Statistisch weni- ger benötigte Büroflächen, Einsparungen bei Reise- und Nächtigungskosten … das kann sich schon bezahlt machen. Allerdings gibt es auch aus Unternehmersicht Gründe, Home- Office abseits von Corona nur sehr überlegt einzusetzen, denn die möglichen Nachteile sind offensichtlich: • Überall dort, wo Teamarbeit erforder- lich ist, entstehen und gedeihen Teams nur im persönlichen Kontakt, nicht auf Teams, Zoom und Co. • Kreatives, gegen den Strich gebürstetes Denken, die Grundlage aller innovativen Prozesse, wird selten Arbeitsplatz, nie in der Videokonferenz, sondern oft beim Pausen- Café geboren. • Genau dort regeln sich auch kleine Kon- flikte in kurzen, informellen Gesprächen. Gibt es diese Gelegenheiten zu wenig, leidet das Arbeitsklima. • Wo sollen sich neue MitarbeiterInnen ein- arbeiten, das Betriebsklima und das soziale Gefüge kennenlernen, wenn zu viele zu oft im Home-Office sitzen? Home-Office – nicht für alle Home-Office funktioniert nur dann, wenn die Umgebung passt: Kinder müssen versorgt sein, es braucht im Idealfall ein eigenes Ar- beitszimmer und eine Umgebung die bereit ist zu akzeptieren, dass man jetzt eben arbei- tet und keine Zeit für private Gespräche, Ko- chen, Bügeln, Einkaufen, Spielen oder Lernen mit den Kindern hat. Ist das nicht gegeben, wird man im Home-Office persönlich ebenso Andreas Braunendal wie ganze Familien auf Dauer scheitern. Aus alle diesen Gründen ist es so wichtig, für die- se Arbeitsform klare Spielregeln aufzustellen – zum Schutz der Arbeitnehmer, aber auch zum Vorteil der Arbeitgeber. Foto: ©famveldman - stock.adobe.com Foto: ©rh2010 - stock.adobe.com
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