echtLife Juni 2022
echt Life | Juni 2022 | Seite 5 einen Beteiligungsprozess abzuwickeln. Damit beauftragt ist das Architekturbüro „nonconform“, dass mit Standbeinen in Österreich und Deutschland seit Jahren auf derartige Beteiligungsprozesse spezialisiert ist und schon in Deutschfeistritz erfolg- reich die Entstehung des neuen Schulzen- trums begleitet hatte. Der Opposition (ÖVP, FPÖ, Bürgerliste) ist das zu wenig: Sie wünscht sich einen Volks- entscheid, ob in der Gemeinde überhaupt noch in größerem Stil neu gebaut werden soll. Immerhin würden die in der Pipeline stehenden Projekte den für die kommen- den Jahre politisch gemeinsam geplanten Zuzug von maximal 800 Personen bei wei- tem übersteigen. Entscheidungen delegieren Man beachte den Unterschied: Eine Volks- befragung delegiert Entscheidungsprozesse politisch gewählter Repräsentanten der Be- völkerung zurück ans Volk. In der Schweiz ist das eingeübt und funktioniert basierend auf einer möglichst objektiven Darstellung von Vor- und Nachteilen möglicher Ent- scheidungen. Ob eine seriöse Abwicklung einer Befragung in Österreich (und auf Gemeindeebene) denkbar ist, sei der Mei- nungsbildung der Leserschaft überlassen. Immerhin wären Gemeinden interessante Versuchsfelder, um das Schweizer Modell auch in Österreich auszuprobieren und dann vielleicht wachsen zu lassen. Ideen sammeln Ein Beteiligungsprozess, hier am Beispiel eines Bauprojektes, ist etwas völlig ande- res: Beteiligung von Bürgern, insbesondere Anrainern an einem großen Bauprojekt ist ein langwieriger Prozess. Ausgehend von der Tatsache, dass 200 neue Wohnungen mit 450 bis 500 neuen Bewohnern ihre Umgebung massiv verändern, sammeln verschiedenste Experten von den Architek- ten bis zu den Verkehrsplanern Ideen. Ihr Ziel: Wenn wir schon die Umgebung ver- ändern, dann im Idealfall so, dass auch für Anrainer konkrete Verbesserungen in ihrer Wohnumgebung entstehen. Bürgerbeteiligung, konkret Hier der Ablauf, wie „nonconform“ an das Wohbauprojekt in Gratwein-Straßengel he- rangeht und wie er Ende Mai fixiert wurde: • Zwei Projektleiterinnen führen im Rah- men einer Nachbarschaftswerkstätte per- sönliche Gespräche mit den direkten An- rainern und weiteren Akteuren durch. • Gedacht wird hier von der grünen Wie- se weg: Welche Ideen haben die Menschen, um das Bauprojekt so zu gestalten, dass es auch für die Anrainer vertretbar ist oder sogar Vorteile bringen kann – z.B. neue Wegführungen, Verkehrswege, Kommuni- kationsorte etc. • Dieser Nachbarschaftswerkstätte folgt eine breiter angelegte Info-Veranstaltung und ein weiter gefasster Beteiligungspro- zess. • Alle konstruktiven, umsetzbaren Ideen fließen in einen Bebauungsplan ein, den die Gemeinde dem Bauwerber vorgibt. • Der Bebauungsplan ist die Grundlage für die Projektplanung, die in einen Archi- tekturwettbewerb mündet. • Das Ergebnis des Wettbewerbs wiede- rum schafft erst die Grundlage für den Einreichplan mit gewohnten behördlichen Procedere bis zur Baubewilligung. Bezahlt wird der aufwändige und damit teure Prozess nicht von der Gemeinde, sondern vom Bauwerber als Kostenverur- sacher. Das klingt einerseits logisch (Ge- meindeführung), andererseits kann man beklagen (Opposition), dass der, der zahlt, letztlich auch anschafft. Conclusio Wenn man Bürgerbeteiligungsprozesse ernst nimmt, können Projekte entstehen, die Wohnen neu denken und verschie- denste Interessen zum Wohle aller in Ein- klang bringen. Deswegen wird dieser Weg in immer mehr Gemeinden eingeschlagen. Was für Gratwein-Straßengel noch neu ist, hat bereits viele Vorbilder, die zeigen, dass diese Art der Zusammenarbeit zu bemer- kenswerten Lösungen führt. Werbung
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