echtLife Dezember 2023

Seite 8 | Dezember 2023 | echt Life 40 Jahre Bürgermeister Seit 20 Jahren ist Markus Windisch (ÖVP) Bürgermeister in Übelbach, 20 Jahre lang war Harald Mulle (SPÖ) Bürgermeister in Gratwein-Straßengel. Der jüngere macht noch sehr gerne weiter, solange er gewählt wird, der ältere ist am 25. Oktober zurückgetreten. Ein Gespräch mit zwei sehr ähnlich denkenden Verantwortungsträgern. Markus Windisch ist 45 Jahre alt und seit 24.10.2003 Bürgermeister in Übelbach, der kürzlich zurückgetretene Harald Mulle ist 61 Jahre alt und übernahm das Amt erstmals am 17.9.2003. Auch wenn sie aus zwei unterschiedlichen politischen Lagern kommen, kennen sie sich gut, denn für die Bürgermeister gibt es laufend Berührungspunkte, etwa im Sozialhilfeverband, im Abfallwirtschaftsverband oder in der Leaderregion. Was sie über Parteigrenzen hinaus eint, ist der pragmatische Zugang zur Kommunalpolitik. Dieser Satz von Markus Windisch hat die volle Zustimmung Mulles: „Kommunalpolitik ist eine ideologiefreie Zone.“ Das Kreuz mit dem Geld Ein Gutteil der Aufgaben einer Gemeinde ist es, gesetzliche Aufträge zu erfüllen, für die man vom Gesetzgeber zu wenig Geld bekommt. Gemeint sind Anteile des großen Steuerkuchens, der in die Gemeinden fließt, die sogenannten Ertragsanteile. Markus Windisch rechnet einfach vor: „Wir bekommen 2 Millionen Euro, davon gehen 50% ins Personal, also Verwaltung und Außendienst, 500.000 brauchen wir für Soziales und Pflege, 500.000 fließen in die Kinderbetreuung.“ Harald Mulle: „Ebenfalls gesetzlicher Auftrag sind die Erhaltung von Straßen und Schulen, aber das geht sich aus den Bundesanteilen nicht mehr aus. Also benötigen wir weitere Einnahmen, und die kommen aus dem Wohnen, denn jeder zusätzliche Einwohner erhöht die Ertragsanteile und über die Kommunalsteuer, also über Arbeitsplätze. Deshalb sind Gemeinden an Wohnbau und an der Schaffung von Arbeitsplätzen interessiert.“ Bodenversiegelung Wenn Gemeinden ohne zusätzliche Wohnbauten und ohne zusätzliche Gewerbeflächen ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen können, könnte das ein Grund sein, warum sie sich gegen eine Beschränkung von Bodenversiegelung zur Wehr setzen. Markus Windisch widerspricht: „So einfach und pauschal lässt sich das nicht sagen, wie es derzeit medial vermittelt wird. Unsere Grünflächen, unsere landwirtschaftlichen und Naturflächen sind ein wichtiger Teil unserer Lebensqualität. Aber wenn beispielsweise von oben die Gruppengrößen in Kindergärten reduziert werden, dann bedeutet das eben auch mehr Personal und damit mehr Kosten und dann und wann ein neuer Kindergarten, wenn der Ausbau einer bestehenden Einrichtung nicht geht.“ Harald Mulle weist auf Fehler der Vergangenheit hin: „Aus heutiger Sicht haben wir zu viel gewidmet, etwa für Gewerbezentren, die auch schlecht für die Ortskerne sind. Diese Flächen sind zudem ineffizient genutzt, weil sie nur einstöckig verbaut sind. Über all diesen Geschäften hätte man auch Raum für Büros schaffen können.“ Den Widmungsbedarf der Gemeinden könnte man also reduzieren, wenn die Ertragsanteile so hoch wären, dass die Gemeinden auf Zusatzeinnahmen nicht angewiesen wären. „Undenkbar, denn da müsste man ja entweder Steuern erhöhen oder anderen via Umverteilung etwas wegnehmen.“, sind sich beide einig. Apropos Ortskerne … Warum gelingt es eigentlich kaum, dem Wunsch der Bürger nach lebendigen Ortskernen nachzukommen, wollen wir wissen. „Wenn sich die Gesellschaft mit ihren Ansprüchen ändert, können die Kommunen nicht alles reparieren. Die kleinen Geschäfte sterben weg, weil ihnen die Kunden fehlen“, so Markus Windisch. „Sollen wir als Gemeinden wirklich unrentable Geschäfte finanzieren? Abgesehen vom Geld glaube ich nicht, dass das unsere Aufgabe ist.“ Verteiltes Lob Frage an beide Herren: Was ist in der jeweils anderen Gemeinde eigentlich besonders gut gelungen? Harald Mulle sieht Übelbach als Paradebeispiel für eine gelungene Revitalisierung eines Ortskerns. Markus Windisch lobt im Gegenzug das Gratwein-Straßengler Angebot an Kinderbetreuung und für Jugendliche: Da besteht ein sehr dichtes Angebot mit hoher Qualität. Was beansprucht Bürgermeister am meisten? Da traut sich nur Harald Mulle nach seinem Rücktritt eine Antwort zu geben: „Im Alltag ist es die Notwendigkeit, immer alle Menschen wahrzunehmen. Beim Bummeln in der Stadt, beim Gasthausbesuch, bei Veranstaltungen. Du musst jeden bemerken, der dich kennt und aktiv werden. Ein Satz, ein Händeschütteln, auf Distanz ein Zuwinken. Sonst heißt es sofort: So ein abgehobener Schnösel!“ Warum man sich das antut Österreichweit wird es rund um Gemeinderatswahlen immer schwieriger, Bürgermeisterkandidaten zu finden. Daher eine Frage an die Leserschaft: Unter welchen Bedingungen würden Sie sich eigentlich diesen mehr als Fulltime-Job antun? Harald Mulle: „Ein Problem ist sicher, das es für Bürgermeister keine soziale Absicherung gibt, keinen Pensionsanspruch, keine Arbeitslosenversicherung und auch kein Karenzgeld.“ Markus Windisch spricht für beide: „Man kann das nur machen, wenn man Leidenschaft mitbringt und das wirklich gerne macht.“ Bgm. a. D. Harald Mulle und Bgm. Markus Windisch Werbung Andreas Braunendal

RkJQdWJsaXNoZXIy MTgyNzE1Ng==