Jegg-Life-Magazin September 2016 - page 7

Jegg - L i fe
| September 2016 | Seite 7
Wenn es in einer einzigen Stark-
regennacht mehr als 80 Feuer-
wehreinsätze in einem über-
schaubar kleinen Gebiet gibt
spricht man von einer Katastro-
phe. Folgen weitere, aber gerin-
gere Ereignisse, ist dies ein kom-
munalpolitisches Alarmsignal.
Betroffene sind empört, fordern
mehr Schutz. Politiker beteuern
ohnedies alles dafür zu tun. Ist
das aber so, wenn sich die Natur
ihren Raum zurückholt?
Gratwein-Straßengel Bürger-
meister Harald Mulle reagiert
auf derlei Fragen mit der Ge-
lassenheit eines „g´standenen“
Politikers:
„Die betroffenen Ge-
bäude sind vor meiner Zeit ge-
baut worden und heute 20 oder
30 Jahre alt“. Bausünden von da-
mals, die zumindest Mitschuld
an überfluteten Kellern und Ga-
ragen haben, räumt er zwar ein,
- sie sind seine Sache aber nicht.
Und: „Hinter der Mittersiedlung
ist eine unbebaute Fläche, wo
sich Wasser sammelt und zu den
Häusern abfließt“.
Kontrolle ausgeblieben
Der in Hochwasserfragen sattel-
fest wirkende Bürgermeister stellt
aber kritisch fest, dass vielfach
die in Baubewilligungen vorge-
schriebenen Keller-Lichtschächte
nicht korrekt gemacht wurden.
„Viele sagen, das schaut nicht
schön aus“, weiß Mulle und gibt
zähneknirschend zu, dass bisher
wohl auch die behördliche Kon-
trolle ausgeblieben ist. Auch ha-
Von Starkregen
& Bausünden
In kaum einem Jahr zuvor gab es in Gratwein-Straßengel so
viele Wetter-Ereignisse mit Schäden wie 2016. Warum ist das
gerade hier so? Eine Analyse zeigt: Die Gründe dafür sind man-
nigfaltig, zum Teil auch hausgemacht.
ben manche Häuslbesitzer zum
Schutz des Grundstückes Schutz-
bauten zur Wasserverdrängung
errichtet. „Das wollen wir in Zu-
kunft dem Wasserrechtsgesetz
entsprechend untersagen“, so der
entschlossen wirkende Bürger-
meister.
Die größeren Bausünden werden
im Abflussplan der Gemeinde
deutlich – dargestellt in riesigen
blauen Farbflecken. Im Zentral-
bereich von Straßengel ist ein
Großteil der Häuser in die HQ
30-Überflutungs-Zone (dreißig-
jähriges Hochwasser) gebaut,
was nur mit einemWasserrechts-
gutachten und -bescheid möglich
ist. Dafür rechtlich zuständig: der
Bürgermeister als Baubehörde
erster Instanz.
Mulle in die Zukunft blickend:
„Mit dem geplanten Linear-
ausbau des Rötzbaches von der
Plankenwartherstraße bis zur
Mur wollen wir einen großen
Teil dieses Sanierungsgebietes
HQ-100 sicher machen; damit
wäre das größte Schadenspo-
tenzial beseitigt“. Wann, steht in
den Sternen. Hofrat Hornich von
der Wasserwirtschaft des Lan-
des: „Ein Projekt gibt es – mehr
aber noch nicht…“. Mulle wäre
aber ein schlechter Bürgermeis-
ter, würde er nicht auf die beiden
Rückhaltebecken am Kugelberg
und das Sickerbecken hinter der
Ring-Straße verweisen: „So haben
wir als Gemeinde schon viel zum
Hochwasserschutz beigetragen“.
Kugelberg:
3. Rückhaltebecken
Apropos Kugelberg: Der Abfluss
der beiden Rückhaltebecken
von je rund 2.500 m³ Fassungs-
volumen erfolgt Am Grünanger
über ein gemeinsames Rohr von
60 cm Durchmesser. Beim Stra-
ßenknick, wo das Wasser von
einem Rohr ins nächste überge-
leitet wird, ist der Austritt vor-
programmiert. Die „Unterlieger“
der Wiese, die oben genannte
Schutzzäune um ihre Grundstücke
gezogen haben, werden sich wohl
bedanken, wenn der Bürgermeis-
ter diese nun exekutieren will.
Mulle kalmiert:
„Ein neues
Rückhaltebecken am Kugelberg
ist bereits in Planung. Eine wei-
tere Trockenlegung des Berges
wird damit möglich. Mit der
Errichtung ist 2017 zu rechnen“.
Weiter abwärts, also zwischen
Hundsdorfbach und dem Be-
reich Buchenweg, ist eine große
Wiese eine Problemzone. „Eine
seit jeher bekannte saure Wiese,
wo im Lehmboden nichts versi-
ckert“, wie dortige Bauern wis-
sen. Auch hier sind merkwürdige
verlegte Abflussrohre in einem
undefinierbaren Wassergraben.
Anrainer fürchten bei Starkregen
das Überlaufen und wurden vor
dem Bau von der Behörde auch
nicht darüber informiert. Mulle:
„Es gibt aber keine neuen Bauge-
nehmigungen und alte sind mei-
nes Wissens dergestalt, dass die
Häuser zumindest keine Keller
genehmigt erhielten“.
Wer ist zuständig?
Das „Geschiebe“ des Hundsdorf-
baches von Sand- und Schot-
terablagerungen verengt beim
Straßenbrückendurchlass rund
200 Meter vor der Unterführung
der Rötzerstraße, die zwei 60
cm-Rohre (Durchfluss je rund
0,620 Kubikmeter pro Sekunde)
mehr als ein geschätztes Drittel.
Austritte und Straßenüberflutun-
gen sind deutlich sichtbar. War-
um räumt man diese nicht aus,
fragen die Menschen? Harald
Mulle: „Das dürfen wir nicht,
dafür ist einzig die Baubezirkslei-
tung zuständig“.
Dort sagt aber Wasser-Refe-
rent Wolfgang Woschitz:
„Das
ist Sache des Straßenbesitzers
oder Konsenswerbers, sprich:
der Gemeinde oder Privateigen-
tümer. Eine Räumung kann bei
uns beantragt werden – wurde
aber bis dato nicht. Wir von uns
selbst rücken nicht aus“. Hofrat
Hornich ergänzt: „Eindeutig Sa-
che der Gemeinde, wir sind nur
Dienstleister und erhalten dafür
die finanzielle Zuzahlung der
Gemeinde, wenn wir in ihrem
Auftrag tätig werden“.
„Schwarze Schafe“ prüfen
Bürgermeister Mulles Resümee:
„Wir müssen künftig Retentions-
flächen schaffen, die „schwarzen
Schafe“ beim Bau prüfen anfan-
gen und mit der Ausweisung von
Bauland sorgsam umgehen. Was
wir beim letzten Flächenwid-
mungsplan 2010 bereits getan ha-
ben – da wurden nur rund 5 Pro-
zent neues Bauland ausgewiesen“.
Ein Vergleich macht sicher: Die
Stadt Graz weist im derzeit auf-
liegenden Flächenwidmungsplan
überhaupt kein neues Bauland,
also null Prozent aus. Trotz dar-
gestelltem Wohnflächen-Mehr-
bedarf von 3731 Hektar …
Bürgermeister
Harald Mulle
mit der stark
blau eingefärbten
Hochwasser-Untersuchung
Hundsdorfbach-Durch-
fluss: Wer ist für die
Räumung zuständig?
Kohlbacher-Siedlung
Rötzerstraße: Wassergraben
ist laut Mulle ein Segen
für Nachbarn
Gratwein-Straßengel:
von Erich Cagran
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