Seite 44 | September 2017 |
echt L i fe
Tschernobyl
Ein aktueller Augenzeugenbericht von Helmuth Schwischay
Wohl wenige Ereignisse haben die Nachkriegsgenerationen Mitteleuropas
stärker geprägt als der Super-GAU des Sowjetisch-Ukrainischen Atomreaktors.
Wie aber sieht es 31 Jahre nach dem 26. April 1986 in der Sperrzone rund um den Reaktor aus?
Gleich vorweg: Man muss heut-
zutage nicht lebensmüde sein,
um in die Sperrzone zu gelangen.
Es reichen 129,– Euro/Person,
um eine Sondergenehmigung
inklusive Führer und Busfahrt ab
Kiew zu bekommen. Ähnlich wie
vor schweren Operationen hier-
zulande muss man nach Aufklä-
rung über eventuelle Risiken der
Tour merkwürdige Formulierun-
gen unterschreiben, was letztlich
doch ein wenig auf die Psyche
drückt.
„Checkpoints sind jeweils
in der 30-Kilometer- und
10-Kilometer-Sperrzone
und der ständige Blick auf
den Geigerzähler!“
Betroffen besichtigen wir die
ersten Orte des Grauens, die
uns in verlassene Dörfer, Städ-
te, Waldgebiete und schließlich
zum Atommeiler bringen. In
Pripjat knirschen unsere Schrit-
te über zertretenes Glas, Kame-
ras haben jetzt Hochkonjunktur.
Unsere Besuchergruppe „wan-
dert“ durch die damals im Eil-
zugstempo evakuierte Stadt in
der Sperrzone von Tschernobyl.
Hier alte sowjetische Propagan-
da an den Wänden der Gebäude
der einst blühenden Stadt, da
ein Haufen Gasmasken, bizarr
allemal. Die Gammastrahlen
lassen interessanterweise unse-
ren Geigerzähler ziemlich kalt,
0,20 mS beruhigen auch uns.
Die Regenfälle von über 3 Jahr-
zehnten haben die Radioaktivi-
tät in die Erde gespült, weg ist sie
dadurch natürlich nicht.
Morbide wirkt die gruselige
Szenerie, in der sich die Natur
trotz teilweise höchster Belas-
tung wieder holt, was ihr der
Mensch zuvor genommen hatte.
Tiere werden nicht bejagt, ge-
fischt darf auch nicht werden,
vom Genuss der Schwammerl
gar nicht zu reden.
Das „Warum“ braucht man wohl
nicht erklären.
HALBWERTSZEIT
von Cäsium 137
sind 30 Jahre, d. h.:
Derzeit immer noch ca. halb
so viel Strahlung wie zum
Zeitpunkt des Super-GAUs!
GRENZWERT in der EU:
0,25 MikroSievert ...
... bis zu 16 MikroSievert
hatten wir an den
Hotspots der Tour
EINST und HEUTE
EINBETONIERT und EINGEHÜLLT
der wohl „berühmteste“
ATOM-Reaktor der Welt
RELIKTE aus längst vergangenen
