echt Life 4 2017 - page 41

echt L i fe
| November 2017 | Seite 41
Oh Du seltsamer Tannenbaum!
Ich nehme einmal an, dass für gläubige Christen die Bedeutung des
Weihnachtsfestes groß genug ist, umWerbetrommeln und Punsch-
stände einfach zu vergessen und die Geburt Christi hoffnungsfroh
feiern zu können. Mangelt es am Glauben, wird es allerdings tat-
sächlich schwierig: Was kann man tun, um mit Weihnachten mehr
als ein leeres Ritual zu feiern? Gäbe es keinen Klimawandel, könnte
man zu den heidnischen Ursprüngen zurückkehren und ein Fest
des Lichts und der Wärme feiern: Draußen ist es dunkel und klir-
rend kalt, man kuschelt sich im Kreise seiner Liebsten zusammen
und freut sich, dass die Tage nun wieder länger werden. Tatsächlich
kann man aber eher Nieselregen oder Temperaturen bis an die 20°C
erwarten – und da soll man „Leise rieselt der Schnee“ singen?
Für mich habe ich einen anderen, sehr persönlichen Weg gefunden,
der mich erfolgreich davon abhält, Weihnachten einfach an einen
Palmenstrand zu verlegen. Meine Kindheitserinnerungen beruhen
auf zwei Bildern: Das erste ist ein möglichst großer Christbaum,
bunt geschmückt und mit vielen duftenden Bienenwachskerzen.
Das ist die Tradition, die ich gerne fortsetze. Das andere sind die
regelmäßigen, wüsten Familienstreitigkeiten, die am Festtagstisch
folgten. Hier freue ich mich darüber und darauf, dass es uns seit
vielen Jahren gelingt, mit dieser Tradition meiner Kindheit zu
brechen. Eine Großfamilie ist das Gegenteil einer Facebook-Blase:
unterschiedlichste Werte, Charaktere und Einstellungen prallen
aufeinander. Dann am kulminativen Höhepunkt einer der anstren-
gendsten Zeiten des Jahres friedlich zusammensitzen zu können,
dabei dem Gemeinsamen statt dem Trennenden nachzuspüren:
Das macht Hoffnung, dass wir das Zusammenleben in dieser Welt
doch noch irgendwie hinbekommen.
Andreas Braunendal
Üblicherweise liefern sich hier Lisa-Marie Döbling und Andreas Braunendal
bissige Streitgespräche. Da aber der Advent und das Friede-Freude-Eierkuchen-Fest
Weihnachten vor der Türe steht, erklären beide einander ganz einfach, wie sie es schaffen,
die anstrengendste Zeit des Jahres friedlich ausklingen zu lassen.
(Kein) Streitgespräch
Survival-Kit
für Weihnachten
Der Friede sei mit Dir!
Ja, der Friede ist´s. Da Du Weihnachten auch der Betrachtung des
„leeren Rituals“ zuführst, stelle ich das Worte des Friedens hier vo-
ran. Ich will nicht streiten, weder wegen des von Dir genannten Ri-
tuals, schon gar nicht zeitnah zum bevorstehenden Advent. Mag es
auch abgedroschen klingen: Als möglicherweise wertekonservative
Mutter großartigerer Kinder sind mir diese Rituale liebens- und
erhaltenswerte Teile unserer Lebenskultur, die ich nicht missen
möchte. Auch ich hatte Phasen, wo, zugegeben auch ich lieber mal
weit weg als zu Weihnachten da war. Doch gerade dieser selbst er-
lebte Vergleich machte mich sicher – fernab unserer „hippen“ Al-
lerwelts-Begehrlichkeiten. Geerdet zu sein im angestammten Le-
benskreis. Dort, wo man herkommt, wo man im tiefsten Inneren
wirklich daheim ist, seine Familie hat, sich geborgen fühlt. Wo und
wann sonst im Jahr, als zu Weihnachten, spürt man sein inneres
Daheimsein so deutlich? Für mich ist es eine Art der (Wieder-)Fin-
dung des inneren Friedens. Der beginnt zeitlich schon jetzt, wenn
ich überlege, ob ich Lebkuchen oder nur Kekse mit Zuckerguss für
die Familie backe. Mögliche Sonderwünsche der Kinder, weil heim-
lich das eine oder andere Stück Schokolade für sie abfällt, einkalku-
lierend. Und ich denke an unsere letzte Redaktionssitzung, als die
berührende Geschichte der beiden Findelkinder aus Kambodscha
angeboten wurde (siehe Seite 54). Da kam bei und in mir Weih-
nachten schon im Voraus so richtig an. Ob ich am Heiligenabend
zur Christmette gehen werde – ich weiß es noch nicht. Wohl aber
teile ich hier bereits die kirchliche Friedensbekundung der Chris-
ten, die kurz nach dem „Vater unser“ in der Messfeier verdeutlicht:
Der Friede sei mit Dir!
Lisa-Marie Döbling
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