echt Life 4 2017 - page 31

echt L i fe
| November 2017 | Seite 31
sind –, dass auch Sie dazu neigen sich zu
ärgern und aufzuregen.
Erika Pluhar:
Na sicher! Natürlich ringt man
immer wieder um die sogenannte Gelassen-
heit. Es ist oft sehr schwer, gelassen zu sein
und gerade politische Situationen, Einzelper-
sönlichkeiten oder mediale Hypes … also da
kann mich schon einiges unendlich aufregen.
Dann muss ich mich wirklich am Schopf neh-
men, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Echt Life: Das wäre jetzt genau meine
Frage: Wie machen Sie’s, dass Sie sich dann
nicht zu Facebook setzen und Ihrem Ärger
freien Lauf lassen?
Erika Pluhar:
Erstens einmal ich habe weder
Facebook noch Twitter. Ich habe ein kleines
Handy, ich habe nichts anderes als einen Lap-
top mit dem ich schreibe, Mails beantworte
und aus. Ich nutze all das nicht und lebe auch,
erstaunlicherweise. Ich kann meinem Ärger
insoweit Luft machen, ohne dabei jemanden
zu behelligen, indem ich täglich ein Tagebuch
schreibe, allerdings nicht um es zu veröffent-
lichen. Im Niederschreiben erlöse ich mich
von meiner Wut oder von meinem Ärger,
meiner Empörung, meinem Entsetzen. Und
sehr gut ist, wenn man sich hinsetzt – ich bin
überhaupt kein esoterischer Mensch, ich ma-
che kein Yoga und nix – und atmet. Atmen
ist etwas Feines, so wie das Singen. Man setzt
sich ganz gerade hin und atmet. Oder man
geht durch einen Wald und atmet. Ausatmen
und niederschreiben: Das sind meine zwei
Formen, mich dann wieder von Erregungen,
die nicht gut sind, zu erlösen.
Echt Life: Ich würde Sie gerne nach Ihrer
Einschätzung zu unserer aktuellen politi-
schen, gesellschaftlichen Entwicklung fra-
gen, weiß aber nicht wie man das machen
kann, ohne dass wir die hundertsten sind,
die vor sich hin raunzen.
Erika Pluhar:
Schauen Sie, mein Lebens-
motto ist schon seit sehr langer Zeit der
Begriff „Trotzdem“. Und gerade zurzeit ist
dieses „Trotzdem“ etwas, dass man nützen
kann. Natürlich ist diese türkis-blaue Wel-
le etwas Betrübliches, etwas das uns einfach
in die Nähe der Visegrád-Staaten rückt und
ich schäme mich ein bisschen. Aber ich liebe
mein Land und habe das, das war so um die
Van der Bellen-Wahl herum, in einem „Brief
an Österreich“ zum Ausdruck gebracht. Ich
habe den Krieg als Kind erlebt, das kommt
auch heute in einem meiner Lieder vor. Seit
drei Generationen leben wir in Österreich in
Frieden und in einem Sozialstaat. Wir leben,
im Europavergleich sowieso, ich würde fast
sagen weltweit, in einem der bestfunktionie-
renden Länder mit der höchsten Lebensqua-
lität. Dass man es gerade bei uns fertigbringt
den Leuten einen so dummen Begriff wie
Veränderung, ein „Da muss was Neues her“
zu verkaufen! Das resultiert ja daraus, dass je-
der von uns ein Potenzial an Angst hat. Und
wenn man nicht sehr gebildet ist, wenn man
sich nicht sehr gut auskennt und wenn man
keine Bücher liest, dann ist man sehr schnell
an seiner Angst zu packen. Das macht der Po-
pulismus. Dieses Angstpotenzial wissen ge-
schickte Leute zu nutzen. Ich komme wieder
auf mein „Trotzdem“ zurück. Bleib‘ trotzdem
bei deiner Haltung und deiner Überzeugung
und versuche dich dafür einzusetzen, dass
sich das wieder verändert.
Echt Life: Ein letztes Thema hätte ich noch,
dass man aktuell nicht auslassen darf …
Erika Pluhar:
Die sexuelle Belästigung!
Echt Life: Dieses Thema, wie stehen Sie da
dazu?
Erika Pluhar:
Erstens einmal
hasse ich alles – da verwende
ich wirklich den Begriff Hass –
was die Medien zu einem Hype
machen. Das verliert sofort
seine Bedeutung, wird trivial,
vulgär, verliert Sinn. Natürlich
müssen Frauen auf sich aufpas-
sen. Ich wurde schon gebeten
meinen Senf dazuzugeben. Ich
habe ausführlich geantwortet
und immer gesagt: „Tut mir
leid, ich wurde nie sexuell be-
lästigt. Ich war am Theater, ich
war beim Film und ich war
nicht gerade hässlich. Wenn
mir einer blöd gekommen ist,
dann habe ich sehr wohl gewusst das zurecht
zu rücken und dann war wieder Ruhe. Natür-
lich gibt es auf der einen Seite auch Macht-
verhältnisse, aber man sieht das alles zu we-
nig differenziert. Denn auf der anderen Seite
geht es mir wirklich auf die Nerven, wer da
an Frauen auftaucht und so plötzlich sexuell
belästigt wurde, damit‘s wieder einmal in die
Zeitung kommen. Es gibt Gewalt in der Fami-
lie, es gibt Frauen, die von ihren Ehemännern
vergewaltigt werden, Frauen die in Frauen-
häuser flüchten müssen, weil sie geschlagen
werden. Dafür und für die weltweite Situation
der Frauen, da gehe ich auf die Barrikaden.
Aber dass ein Politiker zurücktreten muss,
weil er einer Journalistin vor 15 Jahren aufs
Knie gegriffen hat? Das Thema hat sich leider
in Unfug verwandelt. Ich habe immer für das
Frausein gekämpft, aber ich bin auch keine
Frau die sagt, nur weil man eine Frau ist, ist
man edel und wunderbar. Es gibt auch ganz
fürchterliche Frauen und es gibt sehr viel an
Rache und an Feldzügen. Jetzt kann man
Männer zerstören. Ich finde ja oft das ärger,
was da so verbal im Alltag vermittelt wird,
so etwas wie „mei Oide“, und „die Weiba“.
Da hätte ich gern, dass das gelassen wird. Da
plädiere ich für Respekt und Wertschätzung
im Alltag und das natürlich in jeder Hinsicht.
Echt Life: Sehr geehrte Frau Pluhar,
herzlichen Dank für dieses Gespräch!
In Erika Pluhar paaren sich nahezu
jugendliche Lebensenergie und die
Lebensweisheit einer 78-Jährigen
zu einem Gesamtkunstwerk,
das Interviews ebenso wie
Konzerte und Lesungen zu einem
bereichernden Erlebnis macht.
Erika Pluhar und der kongeniale Klaus Trabitsch
bei ihrem Konzert mit MoZuluArt in Gratwein
Fotos: Gasser
&
Gasser
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