echt Life 4 2017 - page 22

Seite 22 | November 2017 |
echt L i fe
Die kleine, fast unscheinba-
re Werkstatt in der Andritzer
Reichsstraße/Ecke Schöckelbach-
weg wirkt irgendwie anachronis-
tisch. Der Ur-Andritzer im La-
den ist den Menschen im Bezirk
ein Begriff – und darüber hinaus
seinen vielen Kunden im Be-
zirk Graz-Umgebung: Manfred
Steingruber. Als Einzelkämpfer,
wie er sich selbst nennt, ist er der
Großmeister für Reparaturen al-
len Schuhwerks. „Neue Schuhe
zu machen lohnt sich nicht mehr“,
sieht der realistisch, modern den-
kendeMeister die Konkurrenz der
Billigschuh-Industrie: „Ja, die hat
uns einige Körner gekostet“.
65-Jahr-Jubiläum
Nähmaschine, Schleifmaschine –
in der veraltet wirkenden Werk-
stätte ist das wahre Handwerk
voll intakt, wird hier noch ehrli-
che Facharbeit geleistet. Ein Ge-
schäft mit Seltenheitswert in der
heutigen
Wegwerfgesellschaft.
Und einer beachtlichen Traditi-
on: das stolze Firmenjubiläum
von 65 Jahren wird demnächst
begangen. Sehr zur Freude von
Gründer Martin Steingruber sen.
– heute ehrwürdige 87 Jahre jung.
SohnManfred, selbst seit 1980 im
Betrieb, den er 1991 übernahm,
sieht der Realität aber traurig
ins Auge: „Es gibt leider keinen
Nachfolger“. Somit ist das Ende
in 9 Jahren absehbar – „nach 50
Andritzer Schuhmacher:
Der letzte seiner Zunft!
Schuster, bleib bei deinem Leisten – Redewendung für jemanden, der tut oder sagt, wovon er keine Ahnung hat. Nicht so
Manfred Steingruber: Der Andritzer Schuhmacher ist einer der letzten seiner Zunft – ein echter Meister seiner Leisten.
Dienstjahren und wenn ich dann
65 bin“.
Schuhmacher Steingruber und
seine Handwerks- und Repara-
turqualitäten sind heute sogar
gefragter, als vor Zeit der Billig-
schuhe. „Ich bin gesegnet mit der
weit verbreiteten Klientel und
gutem Publikum“. Auch wenn
er mit den Reparaturen, auch
ohne Orthopädie, jedoch mit
dem Verkauf von erstklassigen
Nebenprodukten wie Seidenso-
cken- Strümpfen oder Schuhpfle-
ge-Produkten keine Eckhäuser
verdienen kann, ist Steingruber
zufrieden. Denn: „Für mich ist
mein Tagwerk mehr Lust als Ar-
beit; sie macht mir immer noch
Spaß, ist doch a bissl kreatives
Basteln immer dabei…“. Den-
noch sein Wunsch an die Ge-
sellschaft und Politik, dass gute
Leistung auch entsprechend ho-
noriert wird.
Klein und fein
Wie überhaupt Steingruber ein
durchaus intellektuell denken-
der, wie kritischer Zeitgeist ist.
„Das brutale Zubetonieren des
einst begehrenswerten Wohnbe-
zirkes Andritz ist eine Schande
– zumal für viele Spekulanten
reine Kapitalerhaltung“. Gleich-
zeitig macht ihn die schleichende
Ausdünnung des Angebots-Mix
der Geschäfte in Andritz be-
sorgt-traurig. „Die Glaserei ist
abgewandert, der Uhrmacher hat
aufgegeben – früher bekam man
in Andritz alles“.
Steingrubers leise Kritik an der
Gesellschaft: die Leute nehmen
die Angebote im Bezirk immer
weniger an, fahren vermehrt in
die City oder die vielen Zent-
ren einkaufen. Dafür sieht er die
Wechselbeziehung mit den Um-
landgemeinden höchst positiv.
Dennoch ist er selbst nirgends
dabei, weder bei einer Partei,
noch bei Wirtschaftsvereinen.
„Ich hab´s lieber klein und fein
– alles andere interessiert mich
nicht“. Und: „Sorry, aber ich
brauch diese Form von Intrigan-
tenstadl nicht. Ich bin ein viel zu
positiver Mensch, um mich da-
von runterziehen zu lassen…“
Meister im Zielschießen
So gefragt seine handwerkli-
chen Fähigkeiten sind, so sehr
sind auch Manfred Steingrubers
sportliche Aktivitäten gerne
gesehen. Bis Ende dieser Sai-
son spielte er beim TC Juden-
dorf in der 1. Liga der Klasse 55
plus. Beim HSV Gratkorn kennt
man ihn als zielsicheren Eis-
stock-Schützen. Dort trug er sich
einmal als Landesmeister, einmal
als Vize-Landesmeister ein und
war sechs Mal Bundesmeister
mit der Mannschaft. Die ruhi-
ge Hand ist´s offenbar, die beim
Nähen der Schuhe ebenso gefragt
ist, wie beim Zielschießen.
Seine große Leidenschaft gehört
jedoch seinem Motorrad, sei-
ner BMW 1200 GS. „Damit ich
endlich mehr Zeit dafür habe,
will ich ab 2018 den Vorteil der
Selbständigkeit ausnützen – und
nur noch Montag bis Donnerstag
im Geschäft sein“. Um als MSK
72-Mitglied, dem größten Club
in der Region, endlich wieder auf
seinen Jahres-Kilometer-Schnitt
von 12.000 km und mehr zu
kommen. „Zum Bergfahren“ –
im Gegensatz zum Andritzer
Biker-Kollegen, dem Trafikanten
Helmut Jurmann, den man in der
„Branche“ den Kilometerfresser
nennt, der heute schon bis Portu-
gal „geritten“ ist.
Bis 65 beim Leisten
Wenn Manfred Steingruber auf
die „goldenen Zeiten“ zurück-
blickt, als Männer mit 60 in Voll-
pension gehen konnten, bleibt
er zeitkritisch bis 65 bei seinen
Leisten. Sein Wunsch an die
Zukunft ist aber redlich, wenn
auch mit ungewissem Ausgang:
„Mögen die Gerechtigkeit soweit
einhergehen, dass Menschen so
viel Geld zum Leben haben, dass
sie im Alter nicht nur von Wasser
und Brot leben müssen, sondern
sich auch das Fernsehen noch
leisten können“.
Ausgesuchtes Feinmaterial: Die Kunden
lieben Steingrubers Leder-Laden
Manfred Steingruber: Andritzer Original, altes
Geschäft, zeitlos-traditionelles Handwerk.
Die Nähmaschine – unverzichtbar-aktuelles
Werkzeug für die Schuh-Reparatur
Erich
Cagran
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