Jegg-Life plus September 2015 - page 39

JEGG-Life plus 2015
39
So explosionsartig die Temperaturen heuer
gestiegen sind: könnten diese in den nächs-
ten Jahren genauso auch ins Gegenteil, also
in vermehrte Kälte umschlagen?
Dr. Kirchengast:
Vermehrte Kälte wird nicht
ausbrechen, aber wie eingangs erwähnt wer-
den auch in Zukunft immer wieder unter-
durchschnittlich warme Sommer dabei sein.
Der langfristige Trend geht jedoch, getrieben
von der globalen Erwärmung, eindeutig nach
oben.
Ein TV-Physiker erklärte dieser Tage, die
Entwicklung sei völlig normal und habe mit
dem CO
2
praktisch nichts zu tun; er nann-
te dafür Zyklen innerhalb der letzten 6000
Jahre als „Beweis“. Stimmt das, oder halten
Sie es, wie viele normale Medien-Konsu-
menten, auch für eine Art Kaffeesud-Lesen?
Dr. Kirchengast:
Das ist entweder ein krasser
Fall von fehlendem Fachwissen oder gezielte
Desinformation. Wir wissen aus vielen sorg-
fältigen Studien, gestützt auf Messdaten von
hoher Qualität und harte Fakten wie das Kli-
masystem physikalisch funktioniert, dass der
CO
2
Gehalt in der Luft durch die menschli-
chen Emissionen in den letzten 100 Jahren
auf Werte zugenommen hat, die es seit min-
destens 800.000 (achthunderttausend) Jahren
auf natürliche Weise nie gab. Und wir wissen,
dass dieses CO
2
die überwiegende Ursache
der globalen Erwärmung und des Klimawan-
dels der letzten Jahrzehnte ist.
Wie lange im Voraus sind solche, nennen
wir es Wetterkapriolen, wissenschaftlich er-
kenn- oder prognostizierbar?
Dr. Kirchengast:
Einzelne Wetterkapriolen,
oder fachsprachlicher gesagt extreme Wet-
terereignisse wie Hitzewellen und Unwetter
mit all ihren Folgen wie etwa Dürren und
Überschwemmungen, sind nur kurzfristig
im Rahmen der normalen Wettervorhersage
genauer prognostizierbar. Deswegen werden
konkrete Extremwetterwarnungen auch in
Zukunft meist kurzfristig sein. Was wir aber
wegen des fortschreitenden Klimawandels im
Voraus wissen, ist, dass solche Extremereig-
nisse gerade im Südosten Österreichs im Al-
penvorland weiter an Häufigkeit und Stärke
zunehmen werden. Zur Bewältigung dieser
Herausforderungen sind Anpassungsmaß-
nahmen an den Klimawandel, von Hitzeplan
bis Hochwasserschutz, wichtig.
Kann es auch sein, dass, wie Meteorologen
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts mein-
ten, dass sich die Mittelmeer-Klimazone
nach Norden verschiebt und Graz bis Mitte
dieses Jahrhundert ein Klima hat, das bis-
her in Sizilien vorherrschte.
Dr. Kirchengast:
Was wir beobachten ist,
dass wir im südöstlichen Alpenvorland, einer
Übergangsregion vom Mittelmeerklima zum
alpinen Klima, so etwas wie eine „Hotspot-
Region“ des Klimawandels sind. Es zeigt sich
gerade im Sommer zunehmend stärker der
Schön, aber bedrohlich:
Wolken nach Hitzeperioden kündigen
erhöhte Katastrophen-Intensität an
Charakter des heißen Mittelmeerklimas. Wo-
hin sich das genauer bis Mitte und Ende die-
ses Jahrhunderts entwickeln wird, da möchte
ich mich noch nicht äußern. Aber ich kann
versichern, dass dies Gegenstand intensiver
Forschungen bei uns am Wegener Center der
Universität Graz ist. Gerade weil mögliche
starke Klimaverschiebungen zu Recht Beun-
ruhigung auslösen.
Mit welchen Wetterverhältnissen rechnen
Sie in den künftigen Jahren in unseren
Breiten? Vor allem: wird auch die bisherige
Sprunghaftigkeit der Temperatur-Unter-
schiede anhalten?
Dr. Kirchengast:
Wir erwarten, dass gerade
im Sommerhalbjahr der sprunghaftere Cha-
rakter des Wetters anhalten wird, richtig, und
nicht nur bei der Temperatur. Er wird sich
voraussichtlich mit fortschreitendem Klima-
wandel noch weiter verstärken. Die Unwet-
terneigung, abruptere Wechsel von Hitzepe-
rioden mit Starkregenfällen, entsprechende
Folgen und Schäden, das alles wird wenig
dem früher gewohnten gemäßigteren Wet-
terverlauf entsprechen.
Wie werden sich angesichts dessen die Win-
ter entwickeln – wärmer und schneeärmer
oder antizyklisch extrem kalt?
Dr. Kirchengast:
Die Winter werden in den
meisten Jahren wärmer und schneeärmer
werden als wir es von früher gewohnt sind.
Auch diesen Trend haben wir in den Klima-
daten schon im Lauf der letzten Jahrzehnte
zu sehen begonnen. Es wird weiterhin zwi-
schendurch kalte schneereiche Winter geben,
aber die klare Tendenz ist, dass diese immer
seltener werden.
Besteht eine rechenbare Chance, dass der
begonnene Erderwärmung Einhalt geboten
oder diese sogar gedrosselt werden kann?
Wenn Ja, bitte wie?
Dr. Kirchengast:
Ja, die Chance besteht noch,
für eine Drosselung wird die Natur aber vie-
le Jahrhunderte brauchen. Wir haben das
erst kürzlich im Weltklimabericht 2014 und
im „Österreichischen Sachstandsbericht: Kli-
mawandel 2014“ dargelegt (siehe Weblinks
unten). Die Chance ist im bekannten 2 Grad
Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung fest-
gehalten. Wir alle, die Politik, die Wirtschaft,
jeder persönlich mit seinem Lebensstil, müs-
sen zum Klimaschutz beitragen. Die Mög-
lichkeiten beizutragen sind auch immer bes-
ser bekannt. Die Umsetzung, mitsamt klarer
politischer und gesetzlicher Regelungen pro
Klimaschutz, muss aber noch viel beherzter
werden.
Weiterführende Informationen
Österreichisches Klimaservicezentrum:
(siehe Kontakt - CCCA Servicezentrum)
Österreichischer Sachstandsbericht:
Klimawandel 2014:
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...60
Powered by FlippingBook