Jegg-Life-Magazin Juni 2016 - page 10

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| Juni 2016 | Seite 10
In Österreich können sich Ar-
beitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer durch Betriebsrat, Ge-
werkschaft und Arbeiterkammer
vertreten lassen. Arbeiterkam-
mer und Betriebsrat sind gesetz-
lich geregelt, die Gewerkschaft ist
eine freiwillige Interessensvertre-
tung. Das Recht auf ihre Bildung
ist aber auf UNO- und EU-Ebene
abgesichert. Es gibt übrigens
auf Arbeitgeberseite mit Wirt-
schaftskammer, Industriellen-
vereinigung, Lobbyisten, … eine
durchaus ähnliche Struktur.
Wer macht was?
Die Arbeiterkammer hat für ihre
Mitglieder beratende Funktion,
redet bei der Gesetzgebung mit,
leistet Grundlagenforschung und
hat eine starke Konsumenten-
schutzabteilung. In Kooperation
mit dem ÖGB leistet sie auch
eine Rechtsvertretung vor dem
Arbeitsgericht. Arbeiterkammer
und Gewerkschaft sind Teil der
Sozialpartnerschaft.
Gewerkschaften verhandeln in
Österreich unter Einbindung der
Betriebsräte rund 850 Kollektiv-
verträge. Sie sind kampagnenfä-
hig bis hin zur Organisation von
Streiks und agieren im Interesse
ihrer Mitglieder.
Dietrich Mateschitz hat bei
Servus TV einen Betriebsrat
verhindert. Ist das sein gutes
Recht als Privatunternehmer
oder ein Rückfall in feudale
Strukturen – und wozu ist ein
Betriebsrat überhaupt gut?
Betriebsräte –
brauchen wir sie
wirklich?
Betriebsräte sind die erste Adres-
se für die Anliegen der Beschäf-
tigten in den Unternehmen. Des
Weiteren können sie Betriebs-
vereinbarungen
abschließen,
welche rechtlichen Rang haben
(Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst,
Gewinnbeteiligung, Altersteil-
zeit etc. oder auch verschiedenste
Vereinbarungen zu Themen, die
im Rahmen der Kollektivverträ-
ge fixiert werden.
Bei Unternehmen ab fünf Mit-
arbeitern hat die Belegschaft
ein Recht auf einen Betriebs-
rat – aber die Belegschaft muss
dieses Recht nicht in Anspruch
nehmen. Die Unternehmens-
führung kann einen Betriebsrat
nur verhindern, indem sie das
Unternehmen schließt, so wie es
von Herrn Mateschitz erfolgreich
angedroht wurde.
ZweiBetriebsräteimGespräch
Soweit die rechtliche Situation.
Aber was bedeutet das in der Pra-
xis? Wir sprachen mit
Wolfgang
Kamedler
, Vorsitzender des
Angestelltenbetriebsrates
der
sappi bis hinauf in die europä-
ische Ebene des Konzerns und
mit
Josef Harb
, Vorsitzender
des Angestelltenbetriebsrates des
Mobility Werks Graz der Sie-
mens AG.
Frage: In den letzten Jahren
wird immer stärker diskutiert,
ob die Rechte der Arbeitnehmer
nicht zu weit gehen und unsere
Unternehmen, die immerhin
im globalenWettbewerb stehen,
eher bremsen. Kann man das so
sehen?
Josef Harb:
In den modernen
Demokratien hat sich, ausgehend
vom Kampf der Arbeiterbewe-
gung, folgende Einschätzung
durchgesetzt: Es ist sinnvoll und
richtig, den Arbeitsnehmerinnen
und -nehmern ein Mitbestim-
mungsrecht in den Unterneh-
men zu geben – einerseits, um
sie vor Ausbeutung zu schützen,
andererseits auch, weil sie mit
ihrem Fachwissen einen wichti-
gen Beitrag zum Unternehmens-
erfolg leisten. Es ist richtig, dass
unsere Betriebe immer stärker
im globalen Wettbewerb stehen.
Wir leben in einer Welt, in der
die Schere zwischen wenigen
Superreichen und allen anderen
immer weiter auseinanderklafft.
Deswegen bei uns die Arbeitneh-
merrechte beschneiden zu wollen
statt sie in den turbokapitalisti-
schen Ländern zu stärken ist si-
cher der falsche Weg. Denn letzt-
lich würde das auch bei uns den
sozialen Frieden gefährden. Die
Gewinner wären vor allem we-
nige Menschen, die hinter diesen
abartigen Vermögensanhäufun-
gen stehen. Wie könnte es sonst
sein, dass das reichste Prozent
der Weltbevölkerung über mehr
als die Hälfte des Weltvermögens
verfügt?
Frage: Sind nicht auch die Be-
triebsräte längst nur noch ver-
längerte Arme der Parteiappa-
rate?
Die Aufteilung der Republik in
Rot und Schwarz beruht his-
torisch darauf, dass man bei
der Gründung der 2. Republik
den wiedergeborenen Staat in
die Hände zweier Parteien leg-
te, die wenige Jahre zuvor noch
aufeinander geschossen haben
– also ein Friedensprojekt der
Nachkriegszeit. Heute ist diese
Aufteilung zwar abgeschwächt
noch immer präsent, aber abso-
lut nicht mehr zeitgemäß. Beide
Betriebsräte räumen ein, dass es
den parteipolitischen Betriebsrat
da und dort immer noch gibt –
allerdings hätten ja die Beschäf-
tigten immer die Möglichkeit,
diese abzuwählen. Interessant ist,
wie der Angestelltenbetriebsrat
der sappi Durchgriffsversuche
der von Parteien durch einen
eigenen Wahlmodus nahezu un-
möglich macht.
von Andreas Braunendal
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