echt_life_1_2017 - page 49

echt L i fe
| April 2017 | Seite 49
E
igentlich ist es ja
fast schon zu spät. Ich meine,
dem Jahreskreis der Sonne fol-
gend. Aber nein, hier ist es nie
zu spät, auch wenn Ostern heuer
erst auf Mitte April fällt. AmWeg
auf Rainer Maria Rilkes Spuren,
in der Provinz Triest, kann es
da schon richtig warm sein. Um
die Mittagszeit, wenn die Wärme
von den Steinen des karstigen
Bodens am schroffen Felsen re-
flektiert wird. Entsinne sich hier
im Frühlingsduft der maritimen
Luft das Intellektuelle des 51-jäh-
rig im Jahre 1926 verstorbenen
österreichischen Lyrikers; beim
Gehen auf des nach ihm benann-
ten Weges:
Alle Gefühle sind rein, die dir
helfen, dich zu sammeln und zu
erheben; unrein ist das Gefühl,
das nur eine Seite deines Wesens
ergreift und dich dadurch ver-
zerrt.
Am Verweilplatz neben des
Weges saftigem Grün, einem
am Fels angelehnten Wegvor-
sprung, schweift dein Blick. Um-
schwärmt von der Harmonie
vielfältigen Vogelgesanges. Steil
Essay von Lisa-Marie Döbling
Duino – und auf Rilkes Wanderwegen
abfallend unter dir das ultrama-
rinblaue Meer; endlos scheinend
und dennoch östlich begrenzt
von den Triestiner Bergen. Schif-
fe durchkreuzen das Wasser und
Pfahlgerüste lassen Miesmu-
schel-Zuchtplätze erkennen. Im
Restaurant bekommen wir sie
dann als Cozze alla Marinara.
Wenn ich da so steh
und denk
an nix, im Hintergrund ich seh
– ein Schloss am schroffen Fels.
Duino, ja, das ist Historie und
Zentrum längst vergangener Po-
esie intellektueller Hochkultur.
Im literarischen Salon der Besit-
zerfamilie von Thurn und Taxis
parlierten dereinst auch Richard
Strauss, Mark Twain oder Victor
Hugo. Und ja, seine insgesamt
zehn Duineser Elegien schrieb
Rilke hier. Unbeeindruckt vom
Kommen und Gehen kaiserlicher
Majestäten namens Elisabeth
oder Franz Joseph I.
Ach, wen vermögen wir denn
zu brauchen? Engel nicht, Men-
schen nicht, und die findigen
Tiere merken es schon, dass wir
nicht sehr verlässlich zu Haus
sind in der gedeuteten Welt.
Welch Gedanke aus Rilkes ers-
ter Elegie! Die Windungen des
teils felsigen „Sentiero Rilkede“,
wie ihn die Heimischen liebevoll
nennen, werden zur emotionalen
Ebene. Fürwahr, wie adelig erha-
ben und gerade deshalb einge-
engt und klein erscheint es, dass
mit Principe Charles della Torre
e Tasso, Duca di Castel Duino,
ein heuer 65-jähriger Fürst den
Anachronismus des Hochadels
emporhält. Die Nachfahren der
Schlossherrin Marie von Thurn
und Taxis nennen Duino das
Traumschloss deutscher roman-
tischer Dichtung. Sind wir somit
vielleicht doch unsicher in Rilkes
„gedeuteter Welt“?
Vorbei an in Stein gehauenen Re-
likten, wie das eines über steile
Stufen abwärts führenden Bun-
kers aus Weltkriegszeiten. Der
Weg bekommt metamorphose
Züge. Duino-Aurisina war im
Westen. „Wer, wenn ich schrie,
hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen“, beschrieb Rilke sei-
nen Blick übers Meer gen Osten.
Vor dem Ende des vier Kilome-
ter langen Weges durchquert der
Blick den Yachthafen von Sistia-
na. Dahinter das alte Strandbad
und noch weiter, wo die Straße
an einem Schranken zum hyper-
modernen Privatrefugium na-
mens „Porto Piccolo“ endet. Aber
das ist eine andere Geschichte.
Rilke
s elegische Sinnesruhe en-
det amWege in einer, des Lyrikers
unbotmäßigen Würdelosigkeit –
an einem uncharmant-bizarren
Straßen-Parkplatz. Nicht aber
ohne einem wegseitigen „Rifu-
gio Rilke“, dem krassen Gegen-
stück zum Verweilplatz anfangs
in Duino; dem mit Schlossblick.
Sistiana-Meerblick auf Bier-
tisch-Bänken bei Eugenio. Und
Gösser-Bier statt „Nastro Azzur-
ro“. Ein jähes Ende harmonischer
innerer Selbstfindung im Heute,
auf der Straße von gestern.
Danke, Rainer Maria Rilke.
Es bleibt uns vielleicht irgend
ein Baum an dem Abhang, dass
wir ihn täglich wiedersähen; es
bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer
Gewohnheit, der es bei uns gefiel,
und so blieb sie und ging nicht.
Wenn ich da so steh
,
im Hintergrund ich seh
das Schloss Duino
Saftiges Grün kühlt, wenn die
Wärme von den Steinen des
karstigen Bodens abstrahlt
Die endlose Weite der Adria,
durchkreuzt nur von Wasserzeichen
der Schiffe
Eingang zum Rilke-Weg
Fotos: Cagran
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