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echt L i fe
| April 2017 | Seite 41
heiten in der Fülle der Erinnerun-
gen, die wie ein Manifest an eine
endende Epoche klangen. Die äl-
teren Herren überboten einander
mit Reminiszenzen von anno da-
zumal. Die Beatles, schön und gut.
„Im John Lennon hatte ich sogar
einen fernen Doppelgänger“, weiß
Silberschneider aus den Annalen.
„Der nannte sich in Hamburg und
ohne Beatles anfänglich auch John-
ny Silver…“. Sei
s drum. Die sub-
versive Jugendbewegung passierte
in den USA. „Die Auflehnung ge-
gen das Establishment in Europa
in erster Konsequenz durch die
Rolling Stones“, wie Sunny Pfleger
festhält. „Das alles war sehr au-
thentisch. Denn Erfolg kannst du
als Musiker auf Dauer nur haben,
wenn dein Publikum merkt, dass
du ehrliche Musik machst“, weiß
Pfleger, der selbst auch in der USA
erfolgreich Musik machte.
Das Raue dieser Musik, die nicht
ganz exakte Spielweise und die
harten Riffs waren die Hauptmerk-
male für den neuen Mythos. Die
daraus entstandenen Spielarten,
der Handjive als Chicago-Version
des Rock ’n’ Roll eines Bo Diddley
wurde später von den „Animals“
modernisiert und von den „Sto-
nes“ in ihrem Album „It
s only
Rock ’n’ Roll“ zum Hit des Jahres
1974 hochstilisiert. Der „Orlando
Sound“ wurde von Little Richard
hochgehalten, der „Surf/Hotrod“
von den Beach Boys als Surf-Pop
kultiviert, bevor auch der Twist
als Spielart eines Chubby Checker
rasch um sich griff.
Peter Kraus röhrte zu leise
Fast naiv klingt der Zugang von
unserem „Johnny Silver“ zum
Rock ’n’ Roll in seiner Jugend-
zeit. „Aus dem Radio hatten wir
Marschmusik oder Freddy Quinn
gekannt. Dann erstmals in der
Hitparade die Rolling Stones. Das
hat mich total umgeschmissen.
Ich schaltete zurück – zu Peter Al-
exander und Peter Kraus. Apropos:
Unsereinem unvergessen blieb die
Schlagzeile einer Zeitung nach
seinem ersten Graz-Konzert: „Pe-
ter Kraus röhrte zu leise…“. Rock
’n’ Roll musste laut sein, er musste
wild sein. Er musste die Leute zur
Ekstase bringen“. Der Stadthalle
fehlten dafür (noch) die Verstärker.
Das war der innere Auftrag für
Vojo Radkovic, der den Rock in
England studiert hatte. In Wien
wurde Rock ’n’ Roll im feudalen
Konzerthaus aufgeführt – ein un-
passender Rahmen. Vojo bunkerte
sich im Eisbunker von Liebenau
ein. So wurde Graz zur Rock ’n’
Roll-Hauptstadt Österreichs. Und
es wurde laut: Deep Purple dreh-
ten auf, dass nicht nur der Bunker
bebte. Selbst am Jakominiplatz war
man noch live dabei. Hier gab sich
die Rock-Welt die Türklinke in
die Hand. The Who, Deep Purple,
AC/DC und so weiter. Seine Ade-
lung erfuhr Vojo jedoch von Eric
Burdon von den Animals (House
oft the Rising Sun) auf seine Zei-
tungsstory nach dessen Graz-Kon-
zert: „Ich habe erreicht, dass dumit
langen Haaren bei dieser Zeitung
arbeiten darfst…“.
Warum gibt’s
das heute nimmer?
Kristin staunt: „Ich find
s span-
nend, das Leben von damals, die
Kleidung, die Einstellung. Eine
Zeitreise wäre klasse – wenn man
danach wieder zurückkommen
kann ins Heute. In der Combo
spiel ich aber Tanzmusik oder
Musical, aber das Sax bringt mir
jetzt Jazz etwas näher“. Eine Annä-
herung. Sie fragt aber, warum das
heute nicht mehr stattfindet. „Aus
finanziellen Gründen – nicht mehr
finanzierbar“, sagt Radkovic mit
traurigem Auge. Das Graz-Kon-
zerts von James Brown, seit 2006
selig, als Beispiel für den Anfang
dieser Entwicklung. Wim, der
Mann aus der Sparkasse mit dem
schwarzen Geldkoffer kam zu spät
in die Eishalle. Die Bühne blieb
leer, das Publikum tobte. Wim
kam, einer von Browns Begleit-
schutz nahmden Koffer und zählte
die Dollarscheine. Danach ein kur-
zes „Show can go on“ ins Headset.
James Brown sprang auf die Bühne
– and the Show goes on.
Silberschneider kurz und bündig
zu Vojos Engagement: „Ein Leben
für den Rock ’n’ Roll“. Und noch
schnell eine Episode hinterher.
Sunny Pfleger:
„Rock ’n’ Rolll war eine
Auflehnung gegen das
Establishment“
Johnny Silver beim Bandwettbe-
werb von Vojos Zeitung in Bruck/
Mur. 1977. Vojo gab als Moderator
in Verneigung vor den kurz da-
vor verstorbenen Elvis als Gitar-
rist einen Elvis-Song. Der junge
Silberschneider motzte frech auf
die Bühne „lern
den englischen
Text...“ Heute sind die beiden aber
längst wieder gute Freunde. Sein
fließendes Englisch lernte Silber-
schneider von Liedtexten. „Mein
Sprachlehrer war, wenn du so
willst, der Chuck
Berry“.
Letzte Revolte: Metal
In den Wandel der Stilrichtungen
des Rock ’n’ Roll fallen freilich
auch die Metal-Versionen. „Quasi
als letzte Revolte ist die Metal-Kul-
tur verteilt auf viele Spielarten“, sagt
der Opus-Pfleger. Der Blick auf
den Rock ’n’ Roll imHier und Jetzt
ist ihm durchaus wichtig. Klar, ist
Sohn Paul mit Band auch auf der
Rock-Schiene. Und auf des Vaters
erfolgreichen Spuren. Auch die
Gruppen Wanda, Seiler & Speer
oder Bilderbuch. „Letztere haben
uns zu ihrem Graz-Konzert ein-
geladen. Alles talentierte Musiker.
Wenn sie
s wollen, geben wir ih-
nen gerne Ezzes“, sagt einer, der
mit „Live is life“ einen Welthit ge-
landet hat. Dazu passend erzählt
er auch gerne, wie imVergleich die
heimische Version von wild und
unangepasst zur amerikanischen
Rock-Generation ausgesehen hat:
„Der Lehrer hat Uninteressantes
langatmig erzählt. Unser Protest:
die ganze Klasse ist aufgestanden
und hat von Wolfgang Ambros
„Da Hofa war
s“ gesungen…“
Finally: come on, let’s rock.
Also wie sind eure Antworten auf
die Frage: Stirbt der Rock ’n’ Roll?
Drei Herren legen ein ultimati-
ves Nein-Bekenntnis ab. Auch
der Schreiber, den selbst niemand
fragt. Doch unsere junge Saxo-
fonistin Kristin sagt selbstsicher:
„Der Ur-Rock ’n’ Roll stirbt für
mich sicher!“ Der Trost wie ein
Halleluja für vier Unverbesserli-
che aus dem Text eines Nr. 1-Hits:
„Rock ’n’ Roll is here to stay, it will
never die. It was went to be this
way, no, i don
t no why“. Interpre-
tiert übersetzt unter der Regie von
Johannes Silberschneider: „Tun
wir nicht die Asche anbeten, son-
dern den Funken aus der Glut wei-
terreichen“.
Ein Opus für ein rockiges Expertenforum (v.l.) Herwig „Sunny“ Pfleger,
Johannes Silberschneider, Vojo Radkovic, Kristin Tantscher
Vojo Radkovic:
„Rock ’n’ Roll ist nicht
nur Musik, das ist ein
Lebensgefühl“
Kristin Tantscher:
„Alles spannend, aber
der Ur-Rock ’n’ Roll stirbt
für mich sicher“
Johannes Silberschneider:
„Nicht Asche anbeten,
sondern Funken weiter-
reichen“
Fotos: Cagran
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