Jegg-Life-Magazin November 2015 - page 41

JEGG-Life plus 2015
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Schusswesten und Helm
Die Schmäh´s kennt er inzwischen alle. Mehr
als 15 Jahre am Balkan machen wissend. Als
„in der Kirchnerkaserne in Graz“, wie er
stolz sagt, ausgebildeter Militär-Dolmetsch
ist er im Majors-Rang. Was auch kein Nach-
teil ist, wenn er hohe Militärs dieser Länder
interviewt. Dass er in der Ukraine zweierlei
Visitenkarten hat (ukrainisch und russisch),
ist gelebte Intelligenz. Dazu gesellt sich aber
auch die Mutfrage – und die nach der Angst
beim Reporten im Kriegsgebiet. „Separatis-
ten haben immer noch die Stalin-Formel im
Kopf: Ein Opfer ist eine Tragödie, eine Mil-
lion Tote sind Statistik“. Heißt im Klartext:
Angst ist kein guter Begleiter. Für Wehrschütz
gilt es daher Ruhe zu bewahren. „Ich denke
eher rational und verlasse mich vor allem
auf´s Gehör. Immer das Autofenster offen,
ob man Granatfeuer hört. Und: vor Straßen-
sperren den Gurt aufmachen, damit man sich
aus dem Auto fallen lassen kann, wenn man
beschossen wird“. Schusswesten und Helm
gehören wohl auch dazu, oder? „Mein Ka-
meramann und ich führen Westen und Helm
im Auto mit, tragen kann man sie aber nicht
– viel zu heiß. In Lugansk aber trugen wir
sie, allerdings aus versicherungstechnischen
Gründen…“.
Helfer im Kriegsgebiet
Wie verkraftet selbst der „harte Hund“ Wehr-
schütz den Anblick von Leichen in Kriegen,
oder erträgt Tränengas der Militärs, wie
zuletzt an der ungarischen Grenze? „Jene
innere Ausgeglichenheit, die mir meine Fa-
milie gibt, lässt mich ruhig schlafen“. Für
den klaren Journalisten-Blick? „Ja! In den
ORF-Berichten versuche ich darzustellen,
wie sich die jeweilige Lage entwickelt. Ohne
Interpretationen. Darauf beschränkt sich die
ORF-Berichterstattung. Mehr kann ich oft
nur auf facebook bringen“. Und wo bleibt da-
bei das Menschliche? „Im Kriegsgebiet selbst
versuche ich zu helfen, wo ich persönlich hel-
fen kann. In Donezk etwa trafen wir eine alte
Frau, die nichts mehr zu essen hatte, weil dort
die Pension nicht mehr ausbezahlt wurde.
Wir fuhren sie nach Mariupol, wo sie wieder
Geld bekam“.
Überzeugter Genuss-Steirer
Wirklich Ruhe und Kraft schöpft er daheim
bei seiner Frau, mit der er seit 30 Jahren
verheiratet ist, und den beiden Töchtern.
Daheim, das ist seit einigen Jahren in Salz-
burg. Aber: „Ich bin und bleibe überzeug-
ter Steirer. Kernöl, Sterz, Käferbohnensalat
und südsteirischer Wein – besser kann man
das Leben nicht genießen“, sagt einer, der
daheim selbst gerne als Hobbykoch mit
seinem „Dreimäderlhaus“ am Herd steht.
So nebenbei schrieb er bereits drei Bücher
über die Krisenherde. In Summe der wür-
dige, aktuelle Journalist des Jahres im Land.
Wird er Ende dieses Jahres erneut dazu
gewählt? „Das entscheiden andere. Damit
Schluss – und: Servus, ich muss weiter nach
Kiew…“.
Christian Wehrschütz, wie er fast täglich zu Gast in unseren Wohnzimmern ist:
„Bei Kriegsbildern sollten wir durchaus härter sein; die Leute sind an Götterdämmerung gewöhnt“.
(Fotos: ORF, privat)
Fotos: Fotolia (2)
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